Ein Winzer-Kapitel ist zu Ende: «Wir haben unser 1948 gestecktes Ziel erreicht». Die Weinbaugenossenschaft hat sich nach knapp 71 Jahren aufgelöst.
Gruppenbild der letzten elf Mitglieder der Weinbaugenossenschaft Küttigen am Tag der Auflösung Ende Februar 2019. (Bild zVg)
Nach fast 71 Jahren hat sich die Weinbaugenossenschaft Küttigen aufgelöst. Ohne diese Organisation, die in schwieriger Zeit als Hilfe zur Selbsthilfe entstanden ist, wäre der Rebbau im Juradorf mit Sicherheit nicht dort, wo er heute ist, nämlich auf bestem Weg. «Wir haben unser 1948 gestecktes Ziel erreicht und können die Akten stolz und mit gutem Gewissen schliessen», betont Hans Zbinden, seit 50 Jahren Mitglied und Rechnungsrevisor der Genossenschaft, die seit Ende Februar endgültig Geschichte geworden ist. Dank der Firma Wehrli Weinbau AG, die in der Genossenschaft immer eine entscheidende Rolle spielte, darf sich Küttigen auch künftig «Winzerdorf» nennen.
Einst ein «erdiger» Tropfen
Am 2. Juli 1948 trafen sich 16 Rebgutbesitzer im Gasthof Kreuz zur Vorbereitung der Gründung einer Weinbaugenossenschaft, nachdem eine frühere Organisation wegen interner Querelen in die Brüche gegangen war. Als Präsident zur Verfügung stellte sich der 28-jährige Robert Wehrli (Dorfname «Goggi-Röbi»), der auch Mitglied des Gemeinderates war, zur Verfügung. Der Küttiger Landwein hatte nicht den besten Ruf und galt als «erdig» oder «sauer», je nach Interpretation. Ziel der Genossenschaft war denn auch die «Hebung und Förderung des Weinbaus», der «gemeinsame Ankauf von Rebsetzlingen», eine «vorteilhafte Verwertung des Traubengutes» sowie die «Veranstaltung von Kursen und Vorträgen». Um vom bisherigen Image wegzukommen, erfand die Genossenschaft in einer ersten Massnahme die Bezeichnung «Hasenbergler».
Robert Wehrli («Goggi-Röbi») war erster Präsident und Kellermeister. (Bild zVg)
Präsident Robert Wehrli amtete gleichzeitig als Kellermeister, und zwar im Untergeschoss des Gasthofs Kreuz, wo unter schwierigen Umständen der Küttiger Wein gekeltert und gelagert wurde. Hilfe erhielt er von seinen Kindern und von Walter Iberg, die Fässer mussten nur mit kaltem Wasser von Hand gereinigt werden, auf die gleiche einfache, aber aufwendige Weise wurden die Flaschen geputzt, abgefüllt, verkorkt und etikettiert. Hinzu kamen in den ersten zehn Jahren ungünstige Klimabedingungen, erfroren doch zwischen 1950 und 1960 die Reben nicht weniger als vier Mal und brachten wenig oder gar keinen Ertrag. Die Genossenschaft war finanziell auf der Kippe, doch aufgeben kam für Robert Wehrli nicht infrage.
Qualität deutlich gesteigert
1974 hatte die Weinbaugenossenschaft Küttigen, in deren Reihen sich auch Produzenten aus Biberstein und Erlinsbach fanden, noch 180 Aren Ertragsreben. Von denen ergaben die Trauben im Durchschnitt etwa 10 000 bis 14 000 Liter Wein, vorwiegend den weissen Riesling × Silvaner und den roten Pinot noir. Das war die Untergrenze für das Überleben der Organisation. Trotzdem trugen die Anstrengungen für den Küttiger Rebbau Früchte. «Alle Weine des Jahrgangs 1979 erhielten für ihre Qualität das begehrte Winzerabzeichen» erinnert sich Hans Zbinden.
Ein erstes Etappenziel war also erreicht, sodass Robert Wehrli 1980 von seinen Funktionen zurücktrat und sich zusammen mit seiner Frau Margrit und mit der nächsten Generation (mit Peter und Marlise) um die Entwicklung seines Familienbetriebs kümmern konnte. Dieser expandierte erfolgreich und bewirtschaftete 1980 insgesamt 510 Aren Rebland, während die übrigen Genossenschafter es gerade noch auf 80 Aren brachten. Dieses Ungleichgewicht führte zu einer vertraglichen Regelung zwischen der Genossenschaft und der Familie Wehrli, die sich aber trotz Übermacht bis zuletzt der Institution verbunden fühlte. «Die Zusammenarbeit war immer von gegenseitiger Fairness geprägt», resümiert Zbinden.
Der langjährige Rechnungsrevisor erinnert sich in diesem Zusammenhang gerne an die rauschenden Trottenfeste Ende der 1960er-Jahre und an die legendären Weinreisen, die von Peter Wehrli und Theres Schlatter organisiert wurden und auch nach der Auflösung der Genossenschaft weitergeführt werden sollen.
Dorffest zum 50-Jahre-Jubiläum
Ein Höhepunkt in der Geschichte folgte 1998 mit einem grossen Dorffest in Küttigen, unter anderem zu Ehren des 50-jährigen Bestehens der Weinbaugenossenschaft, die von Willi Blattner präsidiert wurde. Gemeindeammann Hans Peter Frey würdigte das Jubiläum mit folgenden Worten: «Der ‹Hasenbergler› ist zu einem starken Markenzeichen unserer Gemeinde herangewachsen und zu einer untrennbaren Einheit geworden». Im damaligen Festführer forderte die Organisation junge Winzer auf, «die Ernte der Weinbaugenossenschaft zu verkaufen, welche diese dann der Kelterung zuweist und für den Verkauf sorgt».
Doch solche Hoffnungen erfüllten sich nicht, die Zahl der Genossenschafter wurde immer kleiner. So reifte nach und nach der Gedanke, die Organisation aufzulösen, im Wissen darum, dass man den einstigen Auftrag im Laufe der sieben Jahrzehnte mit viel Arbeit und Herzblut erfüllt hat. Diesem Ansinnen konnten sich die elf verbliebenen Genossenschafter (darunter neben der Familie Wehrli noch zwei aktive Rebbauern) mit ihrem letzten Präsidenten Daniel Blattner an der Spitze nicht mehr länger verschliessen und fassten den entsprechenden Beschluss einstimmig. Doch der Weinbau in Küttigen wird im Sinne der Gründer und dank der Familie Wehrli, bei der mit Susi und Rolf bereits die dritte Generation am Werk ist, deswegen nicht verschwinden, auch wenn ein Kapitel Küttiger Dorfgeschichte damit zu Ende geht.
(Quelle: Aargauer Zeitung, Hermann Rauber)