Die Rebsorte hat einen prägenden Einfluss auf den Charakter des Weins und ist daher für viele Konsumentinnen und Konsumenten ein wichtiges Kaufkriterium. Damit wird die Sortenwahl auch zu einem Marketinginstrument. An den Wädenswiler Weintagen vom 14. und 15. Januar 2016 wurden die unterschiedlichen Aspekte rund um die Sortenwahl beleuchtet: von der Züchtung neuer pilzwiderstandfähiger Sorten über den Einfluss der Klimaänderung bis zur Imagepflege und Sortimentsgestaltung.
Die Sortenwahl im Weinbau, von der Neuzüchtung bis zum Marketing
Die Wädenswiler Weintage werden seit zwei Jahren von der Forschungsgruppe Weinbau der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften organisiert. 175 Fachleute aus der Deutschschweizer Weinbranche konnte Peter Schumacher, Leiter der Forschungsgruppe Weinbau in der Aula in Wädenswil begrüssen. Am ersten Tag wurde die Entwicklung des Sortenspiegels in der Schweiz, Österreich und Deutschland vor dem Hintergrund der Klimaänderung beleuchtet. Im Weiteren wurde die neue pilzwiderstandsfähige Sorte Divico der eidgenössischen Forschungsanstalt Agroscope vorgestellt, am ersten Tag aus agronomischer Sicht und degustativ, am zweiten Tag folgte die Präsentation der önologischen Eigenschaften. Die weiteren Vorträge beschäftigen sich mit dem Image des Schweizer Weinbaus und der Frage, inwiefern die Sortenwahl zur Imagepflege beitragen könnte.
Die Referenten von Agroscope: Pierre-Henri Dubuis, Olivier Viret, Jean-Laurent Spring und Johannes Rösti. (Bild: zVg)
Teilweise Verschiebung von weissen zu roten Sorten
Olivier Viret von der Agroscope zeigte im Einführungsreferat auf, dass die Entwicklung des Sortenspiegels für jede der drei Weinbauregionen der Schweiz (West- bzw. Deutschschweiz und Tessin) aufgrund der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen getrennt betrachtet werden muss. In der Westschweiz ist vor allem der starke Rückgang von Chasselas zugunsten von roten Sorten bemerkenswert. Es ist ein schöner Erfolg für die Züchtungsarbeit der Agroscope, dass mit über 800 ha ein bedeutender Anteil dieser roten Neupflanzungen mit ihren Neuzüchtungen wie Gamaret oder Diolinoir bestockt wurde. Diese Verschiebung von weissen zu roten Sorten ist sowohl auf dem weltweiten Weinmarkt wie auch im deutschen Weinbau zu beobachten, wie die Ausführungen von Arnold Schwab von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim zeigten. In Deutschland nahmen vor allem die Sorten Dornfelder, Blauburgunder und Regent stark zu. In Österreich hingegen konzentrieren sich viele Winzer auf ihre weisse Leitsorte Grüner Veltliner. Ferdinand Regner von der LFZ Klosterneuburg, Österreich, zeigte eindrückliche Zahlen anhand der beantragten Auspflanzungen 2016: Der Grüne Veltliner macht mit 1387 ha mehr als die Hälfte der Neupflanzungen aus. Alle drei Referenten stellten fest, dass die pilzwiderstandsfähigen Rebsorten nach wie vor ein Nischenprodukt und vor allem im Biologischen Weinbau von Bedeutung seien.
(Bild: zVg)
Die neue pilzwiderstandsfähige Rebsorte Divico
Bei der ersten Generation von Neuzüchtungen der Agroscope war das Züchtungsziel die Widerstandsfähigkeit gegenüber der Graufäule. Bei der aktuellen Züchtungsarbeit steht die nachhaltige Widerstandskraftgegenüber dem Falschen und Echten Mehltau im Zentrum, wie Jean-Laurent Spring von der Agroscope darlegte. Mit Divico wurde 2013 die erste resistente Sorte zum Anbau freigegen. Divico ist 1 bis 2 Wochen später reif als Blauburgunder, und das Ertragspotential liegt im mittleren Bereich. In der Deutschschweiz eignet sich diese Sorte daher vor allem für sehr gute Reblagen und für die Produktion von Weinen im höheren Preissegment. Auffallend sind die sehr hohen Anthocyan-Gehalte vom Divico, die bis 10mal höher sein können als beim Blauburgunder. Fünf Weine der Sorte Divico konnten über Mittag verkostet werden. Die intensive Farbe zeigte sich sehr ausgeprägt beim Fassmuster vom Jahrgang 2015, was auf die überdurchschnittliche Sonneneinstrahlung während der Reifezeit zurückzuführen ist. Mit biochemischen und genetischen Markern konnte Agroscope die Effizienz der Züchtungsarbeit stark verbessern. Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit INRA Colmar (F) werden über 300 neue Sorten in Feldversuchen geprüft. Es ist also in der Zukunft mit vielen spannenden resistenten Sorten zu rechnen.
Der Weinberg der ZHAW auf der Halbinsel Au bei Wädenswil. (Bild: zVg)
Grosse Probleme mit Fungizid – Kirschessigfliege letztes Jahr unauffällig
Pierre-Henri Dubuis und Patrik Kehrli, beide Agroscope, konnten sich dieses Jahr kurz fassen. Vor allem auf Grund der sehr hohen Temperaturen im Juli und der allgemein geringen Niederschläge war 2015 ein einfaches Jahr für die Krankheits- und Schädlingsbekämpfung. Einzig der Echte Mehltau trat an einigen Standorten stärker auf als gewohnt. Vor allem rund um die Kirschessigfliege blieb es ruhig. Bei der Kontrolle von 90‘000 Beeren konnten weniger als 0.6% Befall beobachtet werden. Viel mehr zu diskutieren gaben die Schäden, die durch das Fungizid Moon Privilege an Blättern und vor allem Blüten verursacht wurde. Der Weinbauverband geht von Umsatzeinbussen von knapp 80 Millionen Franken aus. Es liegt am einzelnen Winzer, die Entschädigung bei der Herstellerfirma einzufordern. Die Bewilligung von Moon Privilege bleibt weiterhin entzogen. Es ist nun bekannt, dass ein Abbauprodukt der Wirksubstanz die Schäden verursacht hat.
Immer frühere Ernte wegen dem Klimawandel – Bald Merlot am Zürichsee
Am Nachmittag zeigte Annelie Holzkämper von der Agroscope die Auswirkung der Klimaänderung auf den Weinbau anhand des Huglin-Index. Dieser Index berücksichtigt die Temperaturen oberhalb von 10°C und beschreibt die Eignung für den Weinbau. Die Werte haben sich in den letzten 15 Jahren um 170 bis 314 Grade erhöht im Vergleich zu den Jahren 1981 bis 1990. Das entspricht in etwa dem Unterschied zwischen den Ansprüchen der Sorten Blauburgunder und Merlot. Besonders hoch war der Huglin-Index in den Jahren 2003, 2009, 2011 und 2015. In solchen Jahren eignet sich die Region Zürichsee durchaus für den Anbau der Sorte Merlot. Aufgrund der aktuellen Klimamodelle ist vermehrt mit solchen Jahren zu rechnen.
Welche Zukunft haben Blauburgunder und Müller-Thurgau?
Diese Frage wurde bei der Podiumsdiskussion zum Abschluss des ersten Tages gestellt. Gibt es bereits eine Verlagerung zu später reifenden Sorten? Diese Tendenz ist sowohl in Deutschland als auch in Österreich feststellbar, wo frühreife Sorten wie Müller-Thurgau im Rückzug sind. In der Schweiz hingegen ist diese Tendenz noch wenig ausgeprägt, was auf die eher höher gelegenen Anbaugebiete der Deutschschweiz zurückzuführen sei. Einig war man sich auf dem Podium, dass der Markt die Rebsortenwahl zum weitaus grösseren Anteil bestimmt als die Klimaänderung.
Die Rebsorte Gamaret, eine Neuzüchtung von Agroscope, im sortengarten der ZHAW auf der Halbinsel Au bei Wädenswil. (Bild: zVg)
Vinifikationsstrategien von neuen Sorten
Der zweite Tag der Wädenswiler Weintage wurde von Didi Michel, Fachgruppenleiter der Alumni Organisation Netzwerk Wädenswil geleitet. Im Eingangsreferat von Johannes Rösti von der Agroscope wurden die önologischen Eigenschaften der Sorte Divico vorgestellt. Seine Versuche zeigen, dass Divico bedeutend höhere Gerbstoffgehalte als die Vergleichssorten Gamaret und Blauburgunder aufweist. Der Verlauf der Gärung und der Extraktion von den Gerbstoffen und der Anthocyane ist hingegen vergleichbar mit den anderen Sorten.
Im Anschluss befasste sich Volker Schneider (Schneider-Önologie, Deutschland) intensiv mit der Bedeutung der Sauerstoffzufuhr und der Entwicklung der Gerbstoffe bzw. der Anthocyane während der Gärung und des Ausbaus der Rotweine.
Gemeinsames Zentrum für die Weinbauforschung und -lehre in Wädenswil
Kaspar Wetli, Präsident des Branchenverbands Deutschschweizer Wein, hielt in einem Infoblock ein flammendes Plädoyer für das geplante Weinbauzentrum am Standort Wädenswil mit den folgenden Zielen:
Am 1. Oktober 2015 wurde der Verein Weinbauzentrum Wädenswil (WBZW) gegründet, um diese Ziele umzusetzen. Die Mitglieder sind Agroscope, das Amt für Landschaft und Natur des Kantons Zürich (ALN)/Strickhof, der Branchenverband Deutschschweizer Wein (BDW) und die ZHAW Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Der Präsident des Vereins, Lukas Bertschinger von Agroscope, stellte den Stand der Arbeiten vor. Momentan ist man an der Ist-Analyse, im Laufe des Jahres wird ein Businessplan erstellt, sodass ab März 2017 mit der Umsetzung begonnen werden kann.
Imagepflege und Marke für den Deutschschweizer Weinbau
Der zweite Tag war der Weinbereitung gewidmet. Roland Thomann (Zürich) begann sein Referat mit der provokativen Feststellung, dass der Deutschschweizer Weinbau bei der Bevölkerung nur wenig bekannt sei und damit auch kaum ein Image habe – oder ein viel schlechteres, als es die Weine verdienten. Er zeigte dann den Wert einer Marke auf und schlug ein Vorgehen vor für die Entwicklung einer Marke für die Weinbauregion Deutschschweiz. Ins Zentrum seines Entwurfs setzte er das Markenversprechen «Wein(anbau) von A bis Z erleben». Wichtige Werte sind Authentizität, Vielfalt und exklusive Mengen. Wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung einer Marke ist der Wille, langfristig zusammenzuarbeiten und zwar im Bewusstsein, dass man sich in diesem Prozess nicht immer einig sein wird.
Gezielte Sortimentsgestaltung
Jan Schindler und Katrin Antony von der Hochschule Geisenheim (D) gingen wieder auf die Betriebsebene zurück und betonten die Bedeutung der wahrgenommenen Profilierung und der Wertigkeitsdifferenzierung bei der Sortimentsgestaltung für den Betriebserfolg. Traditionell werden die Weine vorwiegend nach Preis und Weinfarbe sortiert. Sie empfehlen den Ansatz, das Sortiment nach dem Trinkanlass zu strukturieren, denn der Konsument, die Konsumentin suche einen Wein zu einem bestimmten Anlass, wie zum Beispiel für die Grillfeier im Garten.
Im zweiten Teil wurden einige Grundregeln zur Produktegestaltung vorgestellt. Die wichtigsten Ziele sind: die Eigenschaften des Unternehmens zu visualisieren, die Wiedererkennung zu gewährleisten und auf lange Sicht die Identifikation der Konsumentin und des Konsumenten mit dem Produkt zu ermöglichen. Die vorgestellten Checklisten sind nützliche Hilfsmittel für die Winzerin und den Winzer, um deren Produktegestaltung kritisch zu überprüfen oder um eine neue Linie bzw. ein neues Sortiment aufzubauen.
Welche Chancen haben neue Sorten für die Imagepflege?
Diese Frage diskutierten zum Abschluss Ulrich Sautter (Falstaff Deutschland), Beat Hedinger (Blauburgunderland), Martin Wiederkehr (Swiss Wine Promotion) und Peter Wehrli (Wehrli Weinbau Küttigen). Nach einem Exkurs über den Absatz von Schweizer Wein im Allgemeinen und den Export im Speziellen hakte der Diskussionsleiter Didi Michel nach und wollte wissen: Haben neue Sorten eine Chance in der Deutschschweiz? Es herrschte Einigkeit, dass man auf Bewährtes setze. Die Zeit des Experimentierens mit neuen Sorten sei vorbei, die Weinbetriebe beschränkten sich wieder vermehrt auf die traditionellen Hauptsorten plus ein bis zwei Spezialitäten. Bei der Wahl einer neuen Sorte würden häufiger internationale Sorten gewählt. Die pilzwiderstandsfähigen Sorten würden die geringe Bedeutung behalten, solange sie von der Qualität und dem Charakter her noch nicht den traditionellen Sorten entsprechen. So werden sie ihre Nischen haben im Bio-Weinbau. Gleicher Meinung war man hingegen, dass die Forschung den eingeschlagenen Kurs bei der Züchtung widerstandsfähiger Sorten weiter verfolgen muss.
Die nächsten Wädenswiler Weintage finden am 12. und 13. Januar 2017 statt. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der ZHAW.
Kooperationen der Tagung:
Agroscope, Alumni Netzwerk Wädenswil, Branchenverband Deutschschweizer Wein, Schweizer Zeitschrift für Obst- und Weinbau, Strickhof, Weinbaumuseum am Zürichsee.