2015-10-06

Merlot: Der Stolz der Tessiner

Heute ist das Tessin das Land – oder vielmehr das Terroir – des Merlot. Doch so sicher wie einst sitzt der König des Tessiner Weinbaus nicht mehr auf seinem Thron – scheinbar. Stagnierender Konsum, Konkurrenz durch andere Sorten, günstigere Weine aus dem Ausland und Klimaerwärmung werfen Fragen auf: Wird es den Winzern gelingen, die Traditionstraube zu bewahren? Und welcher Wein wird im Tessin der Wein der nächsten Generation sein?

Fabio Zanini, Winzer in Brissago (Bilder zVg/Alain Intraina)

Offen für Neues
Wir beginnen unsere Nachforschungen auf dem Weingut des aufstrebenden Önologen Fabio Zanini aus Brissago. Nach Abschluss der Fachhochschule für Weinbau und Weinbereitung in Changins bei Nyon hat der 25-Jährige im Jahr 2014 seinen Weinkeller Giromit eröffnet. Schon sein Vater, sein Grossvater und sein Urgrossvater haben nebenberuflich Wein angebaut. Fabio hat sich nun dafür entschieden, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Nebst den alten Merlot-Rebstöcken, die ihm vererbt wurden, hat er auch Barbera angepflanzt. «Zum einen, weil ich ihn gern trinke, zum anderen, weil die Kunden nebst Merlot auch andere Weine wünschen.» Klar werde der Merlot seine Spezialität bleiben. «Doch so kann ich künftig eine Auswahl anbieten. Und es gefällt mir, Neues auszuprobieren: andere Geschmacks- und Duftnoten, andere Strukturen.»

Auch Enrico Trapletti (43), Winzer aus Coldrerio, konzentriert sich nicht nur auf den Merlot. «Ich möchte das Potenzial unserer Gegend ergründen – und ich beschäftige mich leidenschaftlich gerne mit dem Terroir». Vor 14 Jahren hat er angefangen Nebbiolo anzupflanzen, den er sowohl in reiner Form keltert als auch für Assemblagen verwendet. Trapletti hat diese Rebsorte nicht zufällig ausgesucht: Sie wurde im Mendrisiotto schon vor dem Merlot kultiviert und trug den Namen «Spanna». «Insgesamt bin ich der Tradition und dem Terroir also treu geblieben», sagt der Winzer.

Zuckergehalt steigt
In der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope in Cadenazzo treffen wir den Weinbauexperten Mirto Ferretti (60). Auch er ist der Überzeugung, dass die Entscheidung, nicht nur die Merlot-Rebe anzubauen, klug ist. «Natürlich wird uns der Merlot erhalten bleiben. Er wird vom Klimawandel sogar profitieren.» Dies sei etwa am immer höher werdenden Zuckergehalt feststellbar: «Im Tessin ist der durchschnittliche Zuckergehalt in nur 12 Jahren um 6 Öchslegrade gestiegen.» Doch der Wein von morgen müsse auch möglichst umweltschonend produziert werden, ist Ferretti überzeugt: «Diese Anforderung kann der Merlot aber nicht erfüllen. Ein biologischer Anbau ist nicht möglich, da er zu anfällig auf Pilzkrankheiten ist.» Jedoch haben Agroscope mit anderen Forschungsinstituten mittlerweile Traubensorten wie Divico entwickelt, die diesbezüglich resistenter seien und für den biologischen Anbau besser geeignet.



«Der Merlot wird die wichtigste Traube bleiben», sagt Andrea Conconi (55), Direktor Ticinowine.

Trotzdem: Die Tessiner Weinbaulandschaft wird noch immer zu 85 Prozent von der Merlot-Rebe dominiert. «Und das wird auch in der nächsten Generation so bleiben», glaubt Andrea Conconi (55), Leiter von Ticinowine, der Promotionsstelle für Weinbau im Tessin. Nur schon aus wirtschaftlichen Gründen, denn der Merlot verleiht dem Sonnenkanton eine Identität – vor allem jenseits des Gotthards. Dafür spricht auch der Erfolg des weissen Merlot, der 22 Prozent des Tessiner Weins ausmacht.

Sylvia Berger (45), Verantwortliche für Wein bei Coop, bestätigt dies: «Die deutschsprachige Bevölkerung der Schweiz mag den Tessiner Merlot und schätzt die weisse Variante als Spezialität.» Aufgrund des warmen Sommers habe der weisse Merlot dieses Jahr eine Absatzsteigerung verzeichnen können und dafür den roten etwas zurückgedrängt. «Ich sehe eine positive Entwicklung für Merlot-Weine, die mithilfe moderner Techniken hergestellt werden. Aber auch die nach dem Bordeaux-Prinzip in Barriques ausgebauten Klassiker haben ihr Potenzial noch nicht ausgeschöpft.»



«Merlot muss auch in Zukunft alle begeistern», sagt Daniele Maffei (53), Direktor Azienda Agraria Mezzana.

Reiner Merlot
Wichtig sei, dass Merlot-Weine weiterhin erschwinglich bleiben, mahnt Daniele Maffei (53), Önologe und Direktor des Betriebs der landwirtschaftlichen Schule in Mezzana. «In Spanien», so Maffei, «ist der Weinkonsum in den letzten zehn Jahren von über 35 Liter auf etwas mehr als 20 Liter pro Kopf gesunken. Ich möchte nicht, dass mit dem Merlot das Gleiche passiert. Unser Merlot muss für uns alle ein unverzichtbarer Teil unseres Weingenusses bleiben.» Man müsse auch in Zukunft einen Merlot anbieten können, der sowohl den Weinkenner als auch den Verkoster mit geringeren Ansprüchen begeistert.

«Touristen bevorzugen lokale Weine», weiss Mirko Rainer (35), Sommelier und Geschäftsführer des Restaurants Atenaeo in Mendrisio. Doch auch Tessiner Gäste würden sich immer häufiger für Merlot entscheiden; wenn möglich in seiner reinen Form. «Es sind genau diese Weine, auf die ich stolz bin. Weinherstellung aus einer einzigen Rebsorte ist wesentlich schwieriger. Und ein solcher Wein verdient einen angemessenen Preis.» Die Geschichte des Merlot wird also auch in absehbarer Zeit nicht zu Ende sein.

(Quelle: Coopzeitung/Natalia Ferroni, Nadine Bauer)

Kantone mit den grössten Rebbauflächen

(infografiken zVg/Nik Emch)


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