Einmal jährlich lädt Ticinowine, der Tessiner Branchenverband Rebe und Wein, zum grossen Stelldichein nach Lugano ein. Dieses Jahr präsentierten 51 Winzerinnen und Winzer ihre fruchtbetonten, eleganten und trinkigen 2014er.
Wir erinnern uns: das Wetter im Jahr 2014 glich einer Berg- und Talfahrt. Der sonnige und warme Frühling trieb die Entwicklung der Reben gut voran. Diese wurde jedoch durch den kühlen und überdurchschnittlich nassen Sommer sowie durch lokale Hagelereignisse gebremst. Versöhnlich begann der Herbst sonnig und trocken. Dann trat erstmals und gleich flächendeckend die schädlichen Kirschessigfliege (Drosophila suzukii) auf. Einige Winzer begannen vorsorglich und frühzeitig mit der Ernte, um einem Befall vorzubeugen. Neben dem direkten Ernteverlust von gut zehn Prozent entstand auch ein erheblicher Mehraufwand für die Winzer, die die befallenen Beeren sorgfältig aussortieren mussten.
Rigorose Qualitätskontrolle während der Ernte. (Bild: zVg)
«Die Lese dauerte doppelt so lange wie sonst», sagt Robin Garzoli, Winzer in Maggia. «Jede einzelne Traube musste angeschaut, gedreht und befallene Beeren herausgeschnitten werden. Die Erntehelfer machten das nicht gratis.» Dadurch entstandene Kosten können auch nicht auf die Verkaufspreise geschlagen werden. Zusätzliche finanzielle Einbussen wird die verhältnismässig gering Ernte zur Folge haben.
Mit einem Klick auf das Bild kann die Weinliste 2014 als pdf-Datei heruntergeladen werden.
So schmeckt der 2014er Merlot
Wer diesen Aufwand auf sich nahm und sorgfältig arbeitete, konnte eine gute Ernte einbringen. Diese ergab fruchtbetonte, elegante und trinkige Basisweine. In geschützten Lagen reichte es gar für einen Ausbau in Barriques. Grosse, lagerfähige Gewächse wird es aber nur in den seltensten Fällen geben. Einige wenige Winzer haben ganz auf die Kelterung von Rotwein verzichtet und dafür – wie Paolo Hefti aus Verscio – einen frischen, knackigen Weisswein und einen gehaltvoll strukturierten Rosato produziert.
Der 2014er reiht sich nahtlos an die geraden Jahre 2008, 2010 oder 2012. Kirschenfrucht in allen Variationen, von Sauer- bis Amarenakirschen, sind die dominierenden Aromen. Dazu kommen rote oder schwarze Waldbeeren und Zwetschgen. Selten sind grasige Noten dabei. «Der 2014er ist süffig elegant und bereits trinkreif», sagt Remo Tettamanti, Geschäftsführer der Cantina di Mendrisio. «Sein Reifepotenzial liegt bei drei bis fünf Jahren.» Das braucht es auch. Denn die besten 2013er brauchen noch einige Jahre bis sie ihre optimale Trinkreife erreichen. Und über den 2015er, der noch in den Fässern reift, wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt – schliesslich will man keine Geheimnisse verraten – solle ausserordentlich gut ausfallen. Fast die ganze Ernte hätte Riserva-Qualität gehabt und vermutlich würde der Basiswein knapp. Demzufolge lohnt es sich einige Fläschen 2014er zur erwerben. Vor allem in der Gastronomie ist die säurebetonte Eleganz ein idealer Passpartout zu fast allen Speisen.
Die Jahrgangsverkostung «Il Viso del Vino» findet jeweils am ersten Montag im September in Palazzo dei Congressi in Lugano statt. Der Vormittag ist für Händler, Gastronomen und die Presse reserviert. Allen anderen Weininteressierten steht die Veranstaltung am Nachmittag offen.
Nicola Marchionetti von der Cantina Settemaggio in Monte Carasso und Aristide Furrasola von Furrasola Vini. (Bild: Gabriel Tinguely)
Zwei Preise für den Verdienst am Tessiner Merlot
Seit 2010 vergibt die Promotionsorganisation der Tessiner Weine den «Premio Ticinowine» in Form eines kiloschweren Rebblattes in Bronze. Ab ?? kam ein zweiter Preis dazu, der das Lebenswerk einer Persönlichkeit ehrt.
Dieses Jahr gingen die Preise an De Giorgio und Coop.
Die bisherigen Gewinner:
Premio Ticinowine 2016 geht an Coop: Uberto Valsangiacomo, Präsident Ticinowine, Silvia Berger, Category Manager Wein bei Coop, und Andrea Conconi, Direktor Ticinowine. Giovanni de Georgi hatte an der Zeremonie nicht teilgenommen. (Bild: Gabriel Tinguely)
«Nun bin ich auf dem gleichen Niveau wie Coop», bemerkte Weinjournalist, Merlot-Buch-Autor und Ticinowine-Preisträger Martin Kilchmann etwas konsterniert. Ja. Doch was ist schlecht daran? Martin Kilchmann, der selber keinen Wein verkauft, beschreibt Winzer und Weine. Coop biete im weit verzweigten Filialnetz beinahe 100 Tessiner Merlots an. Der eine schreibt, der andere verkauft, beide tun sie etwas für die Gewäschs aus der Sonnenstube. «Coop ist seit über 40 Jahre ein fairer Partner», sagt Uberto Valsangiacomo, Weinproduzent und Präsident von Ticinowine. «Im Gegensatz zu gewissen Discountern diktiert Coop weder den Stil des Weines noch die Preise. Es ist mehr als fair, dass wir diese partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem ’Premio’ honorieren.»
Einen bitteren Nebengeschmack hat die Geschichte dennoch. Coop und Denner, die beiden grössten Weinhändler der Schweiz liefern sich Rabattschlachten. Mit Rabatten von 20, 30 oder gar 50 Prozent buhlen sie jede Woche erneut um die Gunst der Kunden. Otto Normalverbraucher und Schnäppchenjäger wird nie mehr den vollen Preis für eine Flasche Wein bezahlen. Was mit den Waschmitteln geschah, widerfährt zurzeit dem Wein. Leidtragende sind auch Schweizer Winzer. Denn deren Konkurrenten sind nicht die Kollegen aus dem Nachbardorf, sondern die Billigimporte aus dem Ausland. «Aktionen wie ’der beste Wein unter drei Franken’ ist eine Unverschämtheit», ärgert sich Uberto Valsangiacomo. «Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Wenn von diesen Beträgen das ganze Material bezahlt ist, bleibt nichts mehr übrig für die Arbeit.»
Die Arbeit war denn auch ein Faktor, der das Weinjahr 2014 bestimmte. Noch ist die Situation im Tessin nicht dramatisch. Der eine oder andere Winzer wird jedoch schon etwas genauer rechnen müssen.
Ein Haus für Tessiner Landwirtschaftsprodukte
Giovanni de Gerogi, Ingenieur in Oenologie, war 1984 einer der Gründer von Proviti. Proviti war nach der französischen Sopexa weltweit das zweite Promotionsbüro für Weine, im konkreten Fall für den Tessiner Merlot. Erst im Rahmen der Gatt-Verträge Mitte der 1990er Jahre wurden Zölle und staatliche Vergünstigungen landwirtschaftlicher Produkte abgeschafft. Gleichzeitig wurden Gelder zur Absatzförderung gesprochen und es entstanden rund um den Globus einschlägige Promotionsorganisationen. Zur Finanzierung der Proviti, der heutigen Ticinowine, schlug Giovanni de Gregori vor, dass sich die Produzenten mit einigen Rappen pro Kilo Trauben beteiligten. Das ist bis heute so geblieben.
Erst kürzlich konnte Ticinowine die Lokalität Il Mulino des Ghitello in Morbio Inferiore mieten. Darin soll neben Büros ein Haus der Tessiner Landwirtschaftsprodukte entstehen. Eröffnet wird, wenn alles planmässig verläuft, bereits Ende dieses Jahres. «Damit geht ein seit 30 Jahren gehegter Wunsch in Erfüllung» sagt Andrea Conconi, Direktor von Ticinowine. So lud er Vertreter der Presse am Vorabend von Il Viso del Vino zum Aperitif in die Cantine di Mendriso, wo Elio Scotti feinsten Prosciutto, würzige Salame und schmackhafte Mortadella servierte. Nach einer Vergleichsverkostung zwischen Weinen aus dem Sopraceneri, «solchen aus Europa», wie Organisator Urs Mäder sagte, «und solchen aus Afrika», dem Sottoceneri. Damit spielte er auf die beiden Kontinentalplatten an, die sich im Tessin treffen und auf die unterschiedlichen Böden, den beiden Terroirs des Tessins.
Für das Abendessen im Innenhof zeichnete ein Caterer verantwortlich. «Das bestehende Restaurant ist zurzeit geschlossen. Wird aber mit dem ’Haus’ – für das wir noch den passenden Namen finden müsse – wiedereröffnet», erklärt Andrea Conconi.
Mit etwas Trara und viel Stolz wurde der erste Tessiner Gin lanciert. Authentisch in der Nase. Wacholder, Zitronenzeste, Tannenschösslinge/Harz-Noten sind die groben Züge. Dazwischen gibt es viele Feinheiten herauszuschnüffeln. Doch kaum ist das erste Schlücklein auf der Zugen ist der anfängliche Enthusiasmus verfolgen. Das Zeug ist süss. Dies verstösst gegen die minimalen vier Regeln, nach der sich die internationale Ginproduktion richtet: 1. ein möglichst prues klares Destillat bildet die Basis. Verdünnt wird dieses auf Trinkstärke von mindestens 40 Volumenprozenten Alkohol, 2. Wacholder muss den Geschmack bestimmen, 3. weitere Kräuter, Gewürze und Früchte sind nach belieben erlaubt, 4. Gin ist trocken! Süssen ist mit maximal 0,1 Gramm pro Liter zugelassen!