2017-09-04

Il Viso del Vino – Merlot Jahrgangspräsentation 2015

Jeweils am ersten Montag im September präsentieren rund 70 Tessiner Winzer ihren neuen Weinjahrgang. Die Veranstaltung Il Viso del Vino, die im Palazzo dei Congress in Lugano stattfindet, wird vom Branchenverband Ticinowine organisiert. Mit einem Jahr im Fass und aktuell maximal einem halben Jahr in der Flasche war heuer der 2015er an der Reihe. Trotz grossen betrieblichen Unterschieden, lässt sich den Weinen vorausschauend ein grosses Potenzial zuordnen. Eine gute Nachricht für die Jungweintrinker unter den Merlotfans ist: mit viel Finesse und Schmelz ausgestattet, bereiten die 2015er bereits heute viel Trinkvergnügen.

Grossartige generelle Voraussetzungen
Die misslichen meteorologischen Verhältnisse des Jahres 2014 beeinflussten die Bildung der Knospen. Überdurchschnittlich viele Knospen blieben im 2015 blind, was dazu führte, dass sich auch weniger Trauben pro Pflanze bildeten. Da auch die Fruchtansatzbildung verglichen mit einem durchschnittlichen Jahr weniger üppig ausfiel, wuchsen auch weniger Traubenbeeren heran.

2015 – wir erinnern uns an eine fast Jahrhundertsommer. Nach einem milden Januar war der Februar im Durchschnitt zwei Grad zu kalt. Danach ging es warm und trocken weiter. Der Mai war zu warm aber auch viel zu Nass. Vielerorts fielen über 150 Prozent des langjährigen Durchschnitt an Niederschlag. Im Juni, Juli und August folgte eine Hitzewelle auf die andere. die Reben litten unter Trockenstress und verlangsamten den Vegetationszyklus. Dann im September folgte Hudelwetter mit einem auf und ab der Temperaturen sowie reichlich Niederschlag. Am 7. September wurde der Herbst mit einem Bodenfrost so richtig eingeläutet. Am 12. zeigte das Thermometer wider 27 Grad und in der Nacht vom 13. auf den 14. zog erneut eine Kaltfront übers Land. Nach einem heftigen Föhnsturm am 16. September brach am 23. der Winter mit Schneefällen bis in die Niederungen ein. Der Monat war ein Grad zu kühl. Der Oktober gab sich dann wieder sehr versöhnlich.

Nach einem heissen und trockenen August erlangten die Trauben ihre Fruchtreife schon früh. Das hatte zur Folge, dass die Lese des Jahrgangs 2015 gering ausfiel. Im Vergleich zum Zehnjahresdurchschnitt gab es im 2015 eine um 18 Prozent geringere Weinlese, wobei das Mendrisiotto und die Valle Maggia sogar eine Volumenreduktion von über 20 Prozent.

Die Mengen waren zwar bescheiden, doch der Merlot wies einen hohen Zuckergehalt von 21,3 Grad Brix (88,8° Oechsle) auf. Somit erreicht der Jahrgang 2015 ein durchschnittlich um 0,3 Grad Brix höheres Resultat als der Durchschnittswert des verregneten Jahrgangs 2014. Der im Kantonsgebiet erzielte Zuckergehalt der Trauben entsprach einem natürlichen Alkoholgehalt von 12.3 bis 12.5 % Vol. Dank dem erfreulichen Zuckergehalt und der einen höheren Anteil an Zellen pro Traubenbeere aufweisenden Fruchthaut waren alle Voraussetzungen für die Produktion von konzentrierten Weinen mit ausgezeichneten organoleptischen Eigenschaften gegeben – und wurden natürlich auch entsprechend genutzt.

Mit einem Klick auf das Bild kann die Weinliste 2014 als pdf-Datei heruntergeladen werden.

Spannende individuelle Umsetzung
Äusserst spannend an der Jungweinverkostung ist es, die Interpretation des Jahrgangs von einzelnen Winzern über Jahre hinweg zu verfolgen. Während in sogenannt schwächeren Jahren wie 2008, 2010, 2012 oder 2014 zugunsten der Basisqualitäten zum Teil auf Reserven und Experimente verzichte wird, animieren «grosse Jahre» wie 2009, 2011, 2013 oder 2015 vermehrt zu Neuholzeinsatz und längeren Maischenstandzeiten. So geben sich mache Weine schmeichlerisch weich und dennoch gut strukturiert, während andere hart und abweisend dastehen und noch Jahre der Reife erfordern.

Die grossen Weinhäuser wie die Catina Soziale di Mendrisio, die seit Jahrzehnten top Weine hervorbringt (Tenuta di Montalbano), die Catina di Giubiasco (Camorino oder Monte Carasso), Matasci Vini (Selezione d’Otobre), Tamborini (San Zeno und Costamagna), Delea (Carato und Carato Riserva) und Gialdi (Sassi Grosi) habe ich bewusst ausgelassen und mich auf kleinere Kellereien und Newcomer konzentriert.

Aus etwas über 60 verkosteten Weinen haben mich fünf besonders beeindruckt:

  • Zagara von Andrea Ferrari aus Stabio, eine Assemblage aus Viognier, Pinot Blanc und weiss gekeltertem Merlot, ein Jahr in einer Amfore ausgebaut und ohne Filtration abgefüllt. In der Nase überzeugte der Wein mit einem blumigen Bouquet, das an süsslichen Hustensaft und frisch aufgeschnittene Limonen erinnerte. Im Gaumen gab er sich füllig, weinig, strukturiert mit fruchtbitterem Abgang. Ein vielschichtiger Essenbegleiter.
  • In eine ähnliche Richtung geht der Centoquindici von Ettore Biraghi. Seine schönsten Viognier-Trauben liess er fünf Monate auf den Schalen und vindizierte in einer 300-Liter-Amfore aus gebranntem Ton. Opulent süsser Duft von Aprikosen und Pfirsich in der Nase. Trocken im Gaumen mit Fülle, Schmelz, Struktur und einem Touch «Orange (Wine)» im Abgang.
  • Seit Jahren ein sicherer Wert ist der Merlot Meride von Simone Favini und Claudio Widmer. Auf dem kalkhaltigen Boden des Monte San Giorgio gewachsen, gibt sich der Wein einmal mehr sehr filigran, elegant, fruchtig mit weichen Tannien und dennoch viel Tiefgang.
  • Robin Garzoli aus Maggia hat Trauben des Jahrgangs 2015 erstmals in einer 300-Liter-Amfore vergoren. Das Ergebnis ist ein tief purpurfarbener Wein mit dem Duft von schwarzen Beeren (Brombeere, Holunder), filigran eingebundener Säure, sanften Tanninen und kräftigem Körper. Schwarze Beeren wirken im Nachhall lange nach. Könnte, wenn er bereits auf dem Markt wäre, getrunken werden. Hat aber auch viel Reifepotenzial. Wieviel das Weinwunder dereinst kosten wird, ist noch nicht bekannt, «wird aber nicht ganz günstig sein», sagt Robin Garzoli mit Schalk in den Augen.
  • Etwas strenger und leicht kratzig am Gaumen gibt sich der Tre Perle di Pedemonte von Paolo Hefti aus Verscio. Die Schuld dafür wird der eben erst geöffneten Flache zugewiesen. Im Glas beruhigt sich der kräftige Merlot, verliert an rustikaler Wildheit und gewinnt an Format. Pure Merlotfrucht, die sich nicht hinter einer Holzmaskerade versteckt. Ein grosser Wurf.

Gefallen haben ausserdem die Weine von Mike Rudolph, Adrien Stevens, Christian Zündel sowie Ralph Theiler.

Premio Ticinowine
Am Vorabend der Jahrgangspräsentation wurde zum achten Mal der Premio Ticinowine vergeben. Als Ort für die kleine Zeremonie wählte Andrea Conconi, Direktor von Ticinowine, die Casa del Vino Ticino in Morbio inferiore. An die sechzig Journalisten und Partner nahmen an der Abendveranstaltung teil, wobei auch von jenseits der Alpen zahlreiche Medienleute den Weg ins Tessin fanden. Dazu kamen noch ungefähr zehn englischsprachige Journalisten der Vereinigung Circle of Wine Writers sowie die Verantwortlichen der Sommelier-Kurse Jubilant Nova Wine aus Peking – ein Zeichen dafür, dass die Schweizer und Tessiner Weine auch im Ausland immer bekannter und beliebter werden.


Gio und Carla Rezzonico, Herausgeber der Zeitschrift TicinoVino, und Michela Delcò Petralli, Witwe des im Juli 2017 verstorbenen Adriano Petralli, ehemaliger Direktor der Cantina di Giubiasco. (Bilder Davide Stallone)

Verliehen wird der Premio Ticinowine an Personen, Organisationen oder Einrichtungen die sich durch besondere Verdienste in der Promotion von Weinen aus dem Kanton Tessin ausgezeichnet haben. Dieses Jahr ging die bronzene Plakette an das Ehepaar Gio und Carla Rezzonico. Sie riefen im Jahr 2001 ihre Quartalszeitschrift TicinoVino ins Leben. Die Publikation sollte helfen, unsere Landschaft und unsere Weine zu entdecken. «Wir dachten die Geschichten aus den Weinbaugebieten des Kantons Tessin seien nach drei oder vier Ausgaben erzählt», sagte Gio Rezzonico. «Aus dem anfänglichen Enthusiasmus entstand eine grosse Leidenschaft für die Weine und grosse Liebe zu den Winzern in unserem Kanton. Der Weinbau entwickelte sich und so gab es immer wieder neue Geschichten zu erzählen.»

Seit 2013 verleiht Ticinowine einer Persönlichkeit aus der Tessiner Weinbranche einen Ehrenpreis für ihr Lebenswerk. Zum ersten Mal wurde der Preis für das Lebenswerk im 2017 posthum verliehen. Ticinowine will damit seine tiefe Dankbarkeit gegenüber Adriano Petralli nun auch symbolisch zum Ausdruck bringen. Adriano Petralli bekleidete während zwölf Jahren das Amt des Präsidenten von Interprofessione della vite e del vino ticinese (IVVT), und seinem Engagement ist es zu verdanken, dass zahlreiche wichtige Ziele, wie zum Beispiel die Gewährung der DOC im 1997, erreicht werden konnten. Der Preis wurde von Adriano Petrallis Witwe, Michela Delcò Petralli, in Empfang genommen.

Der Abend bot aber auch die Gelegenheit, den Partnern aus der Deutschschweiz und aus dem Ausland die konkrete Umsetzung eines erst im letzten Jahr vorgestellten Projektes vorzuführen: die Casa del Vino Ticino. 45 Winzer haben sich zusammengefunden und tragen die Idee der Anlaufstelle für alle Promotionsaktivitäten für Tessiner Weine und Spezialitäten.

Degustation von sortenreinen und nicht weiss vinifizierten Merlot-Weinen
Nach der Preisverleihung hatte die Gäste die Möglichkeit einige nur schwer erhältliche Weissweine kennenzulernen. Dabei haben die Organisatoren bewusst auf Assemblagen verzichtet. So konnten die Eigenschaften der einzelnen Rebsorten voll zu Geltung kommen.

Nicole Hareisser von Vinum und Gabriel Tinguely von weinlandschweiz.ch verkosten sortenreine Weinssweine.

Aktuell werden im Tessin 20 bis 25 Prozent der Merlottrauben weiss gekeltert. Dazu kommen andere Weissweine aus verschiedenen Rebsorten, die auf ungefähr zehn Prozent der Rebfläche gedeihen. Es handelt sich um eine Nischenproduktion, die sich aber durch eine erlesene Qualität auszeichnet. Zu den am meisten angebauten Rebsorten zählen Chardonnay, die rund 40 Hektar bedecken, sowie Sauvignon Blanc und Viognier. Ein besonderes Augenmerk der Weinbauern gilt den pilzwiderstandsfähigen Sorten, insbesondere dem Johanniter und dem Sauvignon Gris.


Zurück