2014-11-20

Flüssiges Gold zu würzigen Speisen

Mariagen von Sauternes mit Foie gras oder Tokaji zu Blauschimmelkäse gelten als Traumpaare in der gehobenen Küche. Eine verblüffende Wirkung erzielen edelsüsse Weine jedoch auch in Kombination mit Gemüse, Pilzen, Fisch und Meeresfrüchten oder Fleisch.

Die Winzer Frankreichs, Deutschlands und Österreichs empfehlen fast ausschliesslich Foie gras und Blauschimmelkäse zu ihren edelsüssen Weinen. In seltenen Fällen meinen sie auch, dass Fruchtsalat passen würde. Kaum einer empfiehlt Fisch oder Fleisch. Dabei sollte man meinen, dass sich Gegensätze anziehen und Süsse mit Säure oder Salz harmonieren müsste. Die Probe aufs Exempel machten Emmanuel Charpin von der Walliser Charte Grain Noble Confindenciel und Pierre Crepaud, Küchenchef im Hotel Les Crans in Montana. Im Rahmen der «Nuit des vieux millésimes» luden der Oenologe und der Koch zu einem einzigartigen Wine & Dine ein. Dabei musste sich der Koch auf die Beschreibungen des Oenologen verlassen. «So viele Flaschen von
gereiften Süssweinen gibt es nicht, dass wir ein Dutzend hätten öffnen und verschiedene Versuche anstellen können», sagt Emmanuel Charpin. Was Pierre Crepaud auf die Teller zauberte, harmonierte dann jedoch optimal mit den edelsüssen Weinen: Zum Amigne «Mitis» von Jean-René Germanier kombinierte er Foie gras mit Crevetten, Reis-Popcorn mit Rettich. Petite Arvine «L’Instant Volé» von Benoît Dorsaz ergänzte sich mit Meerbutt mit Zitronenthymian, bei niedriger Temperatur gegart, und Tatar von Jakobsmuscheln mit Kresse. «Grain de Malice» von Provins zu Taubenbrüstchen oder «Ermitage Grain Noble» von Denis Mercier zu Brie mit Trüffel, waren weitere Treffer.

Die Chemie des Geschmacks
Im Vergleich mit Köchen, die ihre Gerichte mehrmals täglich zubereiten können, haben Winzer nur einmal im Jahr die Möglichkeit Wein zu keltern. Aus diesem Grund sollte ein Gericht immer auf den Wein abgestimmt werden und nicht umgekehrt. Denn das Essen hat einen weitaus grösseren Einfluss auf das Geschmacksempfinden von Wein als umgekehrt. So verändern Süsse, Säure und Salz im Essen die Wahrnehmung eines Weines. Generell gelten folgende Regeln: Süsse im Essen verstärkt die Bitterkeit und Säure sowie den brennenden  Effekt des Alkohols im Wein und vermindert die Wahrnehmung von Körper, Süsse und Frucht. Da Süssweine neben Frucht und Zucker meist auch hohe Säure- und Alkoholwerte sowie bittere Noten enthalten, ist es erstaunlich, dass sich die Paarung süss zu süss so lange unangefochten halten konnte.

Säure im Essen verstärkt den Körper, die Süsse und Fruchtigkeit, vermindert dagegen die Wahrnehmung von Säure im Wein. Salz im Essen verstärkt den Körper eines Weines und vermindert Bitterkeit und Säure. Man merke: Zu Süsswein servierte Speisen sollten immer etwas Säure und Salz enthalten. Ein gutes Beispiel wären in Rotwein (Säure) geschmorte Kalbsbacken (Umami und Salz) mit einigen Tropfen Aceto Balsamico (Säure) in der Sauce. Dabei gilt es, einige weitere Tücken zu umgehen. So können durch ein scharfes Anbraten der Kalbsbacken Bitterstoffe entstehen. Feine Gamay- oder Pinot- Noir-Weine eignen sich besser als gerbstoffreiche Malbecs oder Cabernets. Denn Bitterkeit im Essen verstärkt die Bitterkeit im Wein. Das gleiche gilt für Schärfe. Sie verstärkt die Wahrnehmung von Bitterkeit, Säure und alkoholischem Brennen, vermindert jedoch die Reichhaltigkeit, Süsse und Fruchtigkeit im Wein. Eine ähnliche Wirkung wie Schärfe hat Umami. Viele Speisen, die schwierig mit Wein kombinierbar sind, enthalten viel Umami, ohne dass ausreichend Salz als Gegengewicht vorhanden ist. Dazu gehören Spargeln, Eier, Pilze und reife Weichkäse sowie Fisch, Meeresfrüchte und Fleisch in gepökelter oder geräucherter Form. Wer seine Nase tief in die Gläser steckt wird Aromen von Quitte, Birnen, gerösteten Haselnüssen, Trockenfrüchten in allen Variationen oder verschiedenste Gewürze herausriechen. Düfte, die sich hervorragend zu würzigen Speisen kombinieren lassen.

Die süsse Vielfalt
Überall auf der Welt und als allen Traubensorten können Süssweine erzeugt werden. Nach den Regelwerken der EU müssen in Europa produzierte Süssweine einen Zuckergehalt von 40 Gramm pro Liter enthalten. Die Voraussetzung dazu sind sehr hohe Mostgewichet, die vielerorts in Grad Wechsle (°Oe) gemessen werden. Ein Traubenmost mit 90 °Oe enthält rund 210 Gramm Zucker und ergibt komplett vergoren einen trockenen Wein mit knapp 12,5 Volumenprozenten Alkohol (% Vol.). Wird die Gärung zum Beispiel durch Kühlung des Mostes unterbrochen, bleibt unvergorener Zucker als Restsüsse im Wein. Dabei entspricht 1 % Vol. rund 16 Gramm Zucker. Ein Deutscher Riesling, mit 90 °Oe gelesen und deklarierten 9 % Vol., enthält demzufolge 56 Gramm Restzucker pro Liter. Normale Hefen vergären Zucker bis 14 % Vol. und einige spezielle Kulturen schaffen sogar noch 4 %Vol. mehr.

Nun haben die Winzer zahlreiche Möglichkeiten bei ihren Trauben hohe Mostgewichte zu erreichen. Die einfachste ist, die Trauben später zu ernten. Das funktioniert nur in einem schönen, trockenen Herbst. Einzig Tierfrass, vor allem durch Vögel, ist dabei das Risiko. Wenn mit zunehmender Reife, die Häute der Traubenbeeren dünner werden, macht sich in feuchter Witterung Botrytis breit. Im frühen Stadium als Edelfäule bezeichnet, verwandelt sich der Pilz später zu Graufäule und die Ernte ist verloren. Eine sichere Methode ist, optimal reife Trauben in Kistchen zu legen und dann trocknen zu lassen. So gewonnene Gewächse werden auch als «Strohwein» oder «Passito» bezeichnet. Ebenfalls sicher, sind der Abbruch der Gärung mittels Kälte und Filtration, wie das bei Moscato d’Asti der Fall ist, oder durch das Anreichern mit Alkohol. Porto und Muscat de Riversaltes gehören zu diesen sogenannten aufgespriteten Weinen.

Die schnellste Technik nennt sich Cryoextraktion. Dazu werden Trauben nach der Lese schockgefroren und bei minus neun Grad Celsius gepresst. Wasserkristalle bleiben im Trester zurück. Ohne Einwirkung von Kältetechnik kann so bei einem frühen Wintereinbruch Eiswein bereitet werden.

Konzentrierte, süsse Maischen gären oft während mehreren Monaten. Ein Ausbau in Barriques ist nicht notwendig, doch es kann im besten Fall zusätzliche Aromen beisteuern. Rund 30 Walliser Produzenten, die die Charta Grain Noble Confidenciel unterschrieben haben, unterliegen strengen Regelnd. So sind nur die Sorten Ermitage, Malvoisie, Johannisberg, Petite Arvine und Amigne zugelassen. Die Reben sollen mindestens 15 Jahre alt sein und das Mostgewicht darf 130 °Oe nicht unterschreiten. Zudem muss der Wein zwölf Monate in Barriques reifen. Das Ergebnis sind edle Gewächse, die zu den weltweit besten Likörweinen gehören. Deren Aromenspiegel inspiriert zu spannenden Kombinationen.

Gabriel Tinguely für die Hotellerie et Gastronomie Zeitung, Ausgabe 37/14 vom 20. November 2014.

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Hier geht es zu den Degustationsnotitzen weiterer Süssweine.


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