2021-12-27

Kochen mit Wein sorgt für den Säurekick

Über Wein und Essen reden viele. Dabei geht es meist um die Mariage eines Gerichtes mit einem bestimmten Cru. Wenig Beachtung wird dem Wein im Essen geschenkt.

Johannisberg aus dem Wallis oder ein Waadtländer Chasselas mit eher wenig Säure sind ideale Begleiter von Spargeln. Chardonnay aus dem Barrique ist ein Geheimtipp, wenn zum Spargel Rauchschinken serviert wird. Rindsschmorbraten und ein subtiler Blauburgunder sind eine geniale Kombination. Bücher über Essen und Wein füllen die Regale der Buchhandlungen.

Bücher über das Kochen mit Wein sind meist Rezeptsammlungen, in denen Weiss- oder Rotwein als eine nicht weiter spezifizierte Zutat genannt wird. Im 1923 erstmals erschienenen «Fülscher-Kochbuch», wie auch im «Pauli», dem seit 1930 regelmässig aktualisierten Lehrbuch der Küche, ist Rotweinsauce eine süsse Sauce mit Zimt und Rosinen, die kalt zu Pudding, Aufläufen und Fettgebackenem serviert wird. Bei der Sauce marchand de vin, der Weinhändlersauce, handelt es sich gemäss «Pauli» um eine Ableitung der braunen Kalbssauce. Dazu werden Rotwein und Schalotten reduziert, mit Demi-glace abgelöscht, etwas eingekocht und zuletzt mit einem Schuss kräftigen Rotweins ergänzt. Auf die Weine wird nicht näher eingegangen.

Im Standardwerk «Saucen nach Escoffier» von Romeo Brodmann kommen für Fischfond ebenso wie für den braunen Kalbsfond und den braunen Wildfond Weisswein zum Einsatz. Erst für Ableitungen der braunen Grundsaucen werden Rotweine eingekocht. Für die Sauce bordelaise natürlich ein Bordeaux-Wein und für die Sauce bourguignonne ein Rotwein aus dem Burgund. In manchen Rezepten sind Sherry, Madeira und Portwein als generische Begriffe gelistet. Informationen über die Rolle des Weins in einer Zubereitung sind ebensowenig zu finden wie mindestanforderungen an die Weinqualität.

Weinwahl und Zubereitungsarten
Der «Larousse Gastronomique» schreibt unter dem Stichwort «La cuisine au vin», dass seit der Antike in allen Weinbauregionen auch mit Wein gekocht wurde. Daraus seien zahlreiche regionale Gerichte entstanden, denen der Wein, der vor der Küchentüre wächst, eine bestimmte Note verliehen habe. Das bekannteste dieser Rezepte ist der Coq au vin. Überall wird er mit Speck, kleinen Zwiebeln und Champignons zubereitet. Was sich ändert, ist die Wahl des Weines. Im Burgund, wo die edelste Variante Berühmtheit erlangte, schmort der Coq in Chambertin. Dieser Grand-Cru-Pinot-Noir mit eigener Appellation an der Côte d’Or galt als Lieblingswein Napoléons und kostet heute zwischen 200 und 250 Franken pro Flasche. Günstiger und genauso gut gelingt das Gericht mit Pinot Noir für 15 bis 20 Franken aus dem Maconnais im südlichen Burgund oder einem Schweizer Landwein. Im französischen Jura wird der Coq au vin mit Vin jaune und Morcheln anstelle der Champignons zubereitet. Köche im Elsass sowie am deutschen Rhein garen ihren Coq au vin in Riesling.

Schmorgerichte wie Boeuf à la mode oder Suure Mocke gehören zur Königsklasse der Weinküche. Dazu eigenen sich kräftige, vollmundige Weine mit einer Spur Restsüsse wie Aglianico aus Süditalien, Rotweine aus dem Languedoc oder Shiraz aus der Neuen Welt. Kaninchen oder Gitzi wird mit einem stoffigen Grauburgunder zur Delikatesse.

Am Spiess oder auf dem Grill gebraten, erhalten Gerichte Röstaromen sowie rauchige Noten. Dazu passen Saucen aus fülligen, in Barriques gereiften Weinen: Die bereits genannte Sauce bordelaise zu Rind- oder Lammfleisch, eine Chardonnay-Barriques-Sauce zu Doraden, Gambas oder grillierten Calamares.
Pochierte oder gedünstete Gerichte hingegen verlangen nach frischen, fruchtigen Weinen wie Chasselas oder Riesling.

Gemüse im Wock gegart, schmeckt mit einem Schuss säurebetontem Weisswein viel attraktiver als ohne Wein. Auch eine Safransauce oder ein Beurre blanc gelingen nur, wenn darin auch Säure vorhanden ist. «Doch die Säure kann auch zum Problem werden», schreibt der deutsche Blogger Rainer Schönfeld. Die konzentriert sich nämlich beim Reduzieren. Genauso wie beim Süsswein das Einkochen die Süsse verstärkt. «Weisswein ist generell komplizierter zu verkochen als Rotwein», schreibt der Blogger. «Aromasorten wie Sauvignon Blanc oder Gewürztraminer schmecken stets sehr speziell und sind eher ungeeignet.» Ausser sie sind edelsüss und werden in einem Dessert verarbeitet. Interessante Aromen liefern gereifte Weissweine. Auch solche, die ihren Zenit überschritten haben und dezent oxidative Noten aufweisen. Weinautorin Natalie Lumpp schwärmt von einem Risotto mit Steinpilzen und Sherryglace.

Fehlerhafter Wein, fehlerhafte Sauce
Auch gereifte Rotweine ergeben hervorragende Sauce. Diese sollten jedoch nicht allzu sehr nach Leder oder Pferdestall (Bret) riechen und keinen Essigstich haben. Weinfehler finden sich garantiert in der Sauce wieder. Dasselbe gilt für Korkwein. Obwohl das für den Muffton verantwortliche 2,4,6-Trichloranisol bei rund 50 Grad Celsius zerfällt, kann es vorkommen, dass die Sauce «korkt». Im Zweifelsfall empfiehlt es sich den Korkwein aufzukochen, bevor damit ein Fond oder eine Sauce angesetzt wird. Schmeckt er dann noch nach Kork, kann er entsorgt werden. Grundsätzlich gilt: Der zum Kochen verwendete Wein soll so gut sein, dass man davon gerne ein Glas trinken möchte.

Die Wirkung von Wein im Essen
Vor der Zeit der Kühlschränke wurden Fisch und Fleisch in Wein mariniert. Häufig mit der Beigabe von einem kleinen Anteil Essig. Dadurch konnte deren Haltbarkeit um drei bis acht Tage verlängert werden. Diese Technik wird heute noch beim Suure Mocke und der Beize von Wild-Pfeffer angewandt. Während der Zeit im Weinbad infiltriert der Alkohol das Gewebe und imprägniert das Fleisch mit Aromen von Gewürzen, die der Marinade beigegeben wurden. Die Säure wirkt als Zartmacher. Vorsicht ist bei Weinen mit einem hohen Tanningehalt geboten. Die bitter schmeckenden Gerbstoffe besitzen die Fähigkeit Proteine und Fette zu binden. Marinieren kleinere Fleischstücke zu lange in einem solchen Wein, kann das Fleisch beim Garen trocken und spröde werden. In allen Fällen löst Wein Fleischsaft und Proteine, die in die Marinade übergehen. Damit diese beim Schmoren nicht ausflocken, empfiehlt es sich Fleisch und Gemüse aus der Marinade zu nehmen und diese vor der Weiterverwendung aufzukochen und durch ein feines Sieb zu passieren.

Der grösste Teil des Alkohols im Wein verdunstet beim Kochen (siehe «Gut zu wissen»). Für gesunde Erwachsene und auch Kinder ist Wein in Saucen gesundheitlich unproblematisch. Nicht so für Alkoholkranke. Da kann bereits der Geschmack von Wein zu Rückfällen führen. In diesem Fall eignet sich roter Traubensaft für dunkle Saucen. Ein geriebener Apfel bringt Säure in die «Bolognese» und Apfelessig, Zitronensaft oder Verjus sind aromatische Alternativen zum Weisswein.

(Gabriel Tinguely für Hotellerie Gastronomie Magazin)


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Gut zu wissen

Alkohol hat mit 78 Grad Celsius einen tieferen Siedepunkt als Wasser. Doch beim Kochen mit Wein verflüchtigt sich nicht der ganze Alkohol. Amerikanische Forscher haben genau nachgemessen und sind 1992 zu folgenden Ergebnissen gekommen:

  • Beim Backen oder Köcheln sind nach einer Viertelstunde noch 40 Prozent des Alkohols im Essen nachweisbar.
  • Nach einer halben Stunde waren es 35 Prozent, nach einer Stunde 25 und nach zwei Stunden immer noch zehn Prozent.
  • Wird Alkohol erst am Ende des Kochvorgangs dazugegeben, bleibt er zu 85 Prozent erhalten.

Wer für Kinder oder Menschen mit Alkoholunverträglichkeit kocht, sollte sehr vorsichtig sein. Alkoholkranke Menschen müssen auf alle Gerichte, in denen Wein oder Destillate verwendet werden, verzichten.