Das auf Weinindustrie und -forschung spezialisierte Unternehmen Wine Intelligence hat seine fünf Prognosen für die wichtigsten Trends und Themen der Weinindustrie im Jahr 2022 abgegeben. Der britische Journalist und Autor Andy Young kommentiert.
Laut Wine Intelligence steht die Weinindustrie im nächsten Jahr und darüber hinaus vor den gleichen Herausforderungen, denen sich alkoholhaltige Getränke als Konsumgüter stellen müssen. So gilt es, die Kosten niedrig zu halten und gleichzeitig die Verbraucher zum Umstieg zu bewegen. Auch muss das Image von Wein und Destillaten verbessert werden. Dies in Bezug auf die zunehmenden Forderungen der Regierungen nach einem schrittweisen Engagement für ökologische und soziale Verantwortung. Eine grosse Herausforderung ist es zudem, qualitativ hochstehende Produkt für die nächste Generation von Verbrauchern im gesetzlichen Trinkalter relevant zu machen.
Diese Leitplanken liessen Wine Intelligence die folgenden fünf Prognosen für das Jahr 2022 aufstellen:
Mit der Linie Eco hat Univerre eine Serie von 20 Prozent leichteren Flaschen im Angebot, die zu 55 Prozent aus recyceltem Glas bestehen, im Sortiment. (Bild: online-Katalog www.univerre.ch)
1. Der globale Weinmarkt wird sich ernsthaft mit dem Thema «Leichtgewicht» befassen – Reduzierung des Gewichts von Glasverpackungen
Trotz vieler lobenswerter Bemühungen in den letzten drei Jahrzehnten hat die Weinindustrie noch keinen Weg gefunden, die Konsumenten von ihrer Liebe zur 75-cl-Glasflasche abzubringen. Ein Teil des Problems besteht darin, dass Glasflaschen aus Konsumentensicht besonders gut funktionieren: Sie scheinen umweltfreundlicher zu sein als Plastik, sie vermitteln Sicherheit, indem sie die Werte, die Tradition und die Qualität von Wein widerspiegeln und sie sehen auf einem Tisch gut aus. Kürzlich berichtete Wine Intelligence über eine Studie, aus der hervorging, dass 55 Prozent der Konsumenten Glas als eine «nachhaltige» Form der Weinverpackung ansehen, während nur 35 Prozent eine Bag-in-Box für nachhaltig hielten.
Warum ist das wichtig? Laut einer Studie von PE International für das Wine Institute of California aus dem Jahr 2011 macht eine Standard-Weinflasche aus Glas mit einem typischen Trockengewicht von 500 Gramm 29 Prozent des Kohlenstoff-Fussabdrucks eines Weins aus. Es gibt jedoch viele Flaschen für stillen Wein, die deutlich mehr wiegen – mit einem Trockengewicht von fast einem Kilo in einigen Fällen, was den Anteil der Verpackung am Kohlenstoffausstoss des Weins auf fast 50 Prozent und den gesamten Kohlenstoffausstoss um etwa 10 Prozent ansteigen lässt, so die gleiche PE-Studie. Eine leichte Flasche reduziert den Anteil der Verpackung um etwa ein Gramm Kohlenstoff pro Gramm Glas, je nach dem Anteil des verwendeten Recycling-Glases. Dazu kommen Einsparungen beim Transport. Entfernt man die Alukapsel und fügt einen Naturkorken hinzu, bei dem der volle Nutzen der Kohlenstoffbindung in den Korkwäldern eingerechnet wird, erhält man gemäss der Studie aus dem Jahr 2019 von EY im Auftrag des Korkherstellers Amorim, ein Produkt, dessen Verpackung nahezu kohlenstoffneutral ist.
Warum soll sich das im Jahr 2022 ändern? Einflussreiche Persönlichkeiten der Weinbranche wie Jancis Robinson MW und Tim Atkin MW setzen sich seit langem gegen schwere Weinflaschen ein. Jetzt schart diese mächtige Gruppe von Meinungsmachern eine wachsende Koalition um sich, die sich ihrer Sache anschliesst. Dazu gehören jetzt auch grosse Einzelhändler, die ihre Kaufkraft und die Notwendigkeit ihre eigenen Kohlenstoffreduzierungsziele zu erreichen nutzen werden, um die Lieferanten unter Druck zu setzen, damit sie sich verpflichten, nach Möglichkeit leichtes Glas zu verwenden. Schaumwein wird immer noch schwereres Glas benötigen, um dem Gasdruck standzuhalten. Ganz pragmatisch betrachtet, werden die Belastungen der globalen Lieferkette durch steigende Rohstoffkosten, steigende Kraftstoff- und Transportkosten und die mangelnde Bereitschaft der Einzelhändler, die Kosten an die Verbraucher weiterzugeben, die Hersteller dazu zwingen, nach Einsparungen zu suchen, wo immer sie möglich sind. Unnötige Verpackungen scheinen ein naheliegender Ansatzpunkt zu sein.
Der Château Pétrus aus dem Bordelaiser Pomerol steht als Inbegriff für Luxuswein. Obwohl Schweizer Weine nie die Preiskategorie eines «Pétrus» erreichen, gibt es auch hierzulande zahlreiche prestigeträchtige, gesuchte und nachhaltig produzierte Tropfen. (Bild: dapd)
2. Luxusweine müssen auf Nachhaltigkeit getrimmt werden
Was bedeutet Luxus heute? Als Lucia van der Post, die führende Stilberaterin und Kolumnistin der Financial Times, vor einigen Wochen in der Londoner Linley Gallery eine Veranstaltung des gehobenen provenzalischen Weinproduzenten Chene Bleu besuchte, um über dieses Thema zu diskutieren, war sie unmissverständlich: «Luxus wird zeigen müssen, dass er nachhaltig ist, um jüngere Verbraucher anzusprechen». Ihre These und die von Xavier Rolet, Miteigentümer von Chene Bleu und ehemaliger CEO der Londoner Börse, lautete, dass Luxusmarken herausfinden müssen, wie sie ihre Werte und ihr Handeln mit denen der nächsten Generation von Konsumenten in Einklang bringen können. In der Praxis bedeutet dies, sich zu nachhaltigem Handeln zu verpflichten – sowohl in Bezug auf die Menschen als auch auf die Umwelt. Die Herausforderung für Luxusmarken im Allgemeinen und für Luxusweine im Besonderen besteht darin, dies zu tun, ohne die Qualität des Produkts selbst zu beeinträchtigen.
Wie wird sich dies im Jahr 2022 auswirken? Überall auf der Welt nimmt der Weinkonsum ab. Dafür werden hochwertigere Weine getrunken (siehe auch Vorhersage drei). Luxusweine sind derzeit einer der Hauptprofiteure dieses Trends. Wenn sich jedoch das verfügbare Einkommen schmälert, wenn die Inflation die Haushaltseinkommen auffrisst und die Reisetätigkeit im nächsten Jahr wieder in vollem Umfang aufgenommen werden kann, werden die Konsumenten mit Sicherheit wählerischer, wenn es darum geht ihr Geld auszugeben. Die übliche Werbung für Qualität und Tradition wird dann nicht mehr ausreichen.
Das internationale Weinmonitoring zeigt auf, dass zwar weniger Wein getrunken wird, der Wert der einzelnen Flaschen in den vergangenen Jahren jedoch angestiegen ist. (Bild: pexels)
3. Der Zug der Premiumisierung wird auch 2022 weiter rollen
Einer der bemerkenswertesten Silberstreifen der Pandemie für die Weinindustrie ist die Bereitschaft der Verbraucher, das Budget, das sie sonst für Ausgehen und Reisen ausgegeben hätten, in höherwertige Lebensmittel und Getränke für zu Hause zu investieren. Nach einem anfänglichen Einbruch während den ersten Lockdowns haben sich die Weinkategorien Premium und Superpremium, das heisst Weine mit einem Preis von 10 bis 20 US-Dollar beziehungsweise über 20 US-Dollar pro Flasche, laut IWSR-Daten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 mengenmässig um zwei bis vier Prozent erholt. Im obersten Bereich erreichte der Liv-Ex Fine Wine 100 Index, der die Preise der begehrtesten Weine auf dem Sekundärmarkt misst, im Oktober ein Allzeithoch und krönte damit eine beeindruckende 17-monatige Serie von Preissteigerungen.
Der Trend, etwas mehr auszugeben, ist schon lange vor Corona zu beobachten und steht in engem Zusammenhang mit dem Trend, weniger Wein zu trinken. Daten von Wine Intelligence zeigen, dass 39 Prozent der Konsumenten in den wichtigsten Märkten der Welt ihren Weinkonsum aktiv einschränken, wobei dieser Anteil in Märkten wie den Niederlanden und der Schweiz auf über 50 Prozent ansteigt. Die Weinerzeuger haben auch fleissig Innovationen eingeführt und ihre Premium-Angebote beworben, da die Gewinnspannen bei diesen Produkten um Grössenordnungen höher sind als bei niedrigpreisigen Weinen, was vor allem auf die Auswirkungen der festen Wertsteuern zurückzuführen ist, die auf den Alkoholgehalt erhoben werden.
Drei Faktoren werden den Zug der Premiumisierung von Wein im Jahr 2022 vorantreiben:
Weingenuss aus einem neuen Format: Kaffee aus dem Becher und Bier aus der Dose sind salonfähig. Weingenuss jedoch braucht immer noch einen Korkenzieher und ?Weingläser. Wirklich? (Bild: Fox Wine & Co.)
4. Alkoholarme «ready to drink»-Wein kommen in Dosen und kleinen Gebinden auf den Markt
Wein in Dosen hat 2021 grosse Fortschritte gemacht, sowohl aus technischer als auch aus verkaufstechnischer Sicht. Dies wird sich 2022 fortsetzen. Die grosse Innovation wird jedoch von der Industrie kommen, die neue Produktunterkategorien für Wein entwickelt, die beide Wachstumstrends der 2020er Jahre treffen: Wein in einem tragbaren Einzelportionsformat mit einer alkoholreduzierten Formulierung, die ihn von einem Wein zu einem weinhaltigen, schäumenden Getränk macht. Das anhaltende Wachstum von RTDs (ready to drink), vor allem in den USA, wird durch einen beispiellosen Innovationsschub in der Kategorie angeführt und bleibt laut Prognosen des IWSR bis 2022 auf Kurs, um erheblich zu wachsen. Klügere RTD-Hersteller suchen nach Möglichkeiten, ihr Angebot zu veredeln und damit dieselben Trends zu nutzen, die oben in Vorhersage drei erörtert wurden. Das konzentriert sich derzeit weitgehend auf Getränke auf Spirituosenbasis, wobei hochwertige Markenwhiskys, -rums und -gins verwendet werden, um die Verbrauchernachfrage in höhere Preisklassen zu lenken. Laut den internen Marktexperten des IWSR liegt der Schwerpunkt auch zunehmend auf dem Geschmack, was zu einer Abkehr von schlecht formulierten, minderwertigen RTDs führen wird. Wine Intelligence ist der Meinung, dass die gleiche Logik erfolgreicher RTD-Innovationen – grosse Marken, bessere Geschmacksrichtungen – schliesslich auch auf Premium-Weinprodukte angewandt werden wird. Die Trendforscher gehen davon aus, dass die Schaumweinhersteller, insbesondere die Champagnerhäuser, die ihre Reichweite auf den Bereich mit niedrigem Alkoholgehalt und Einzelportionen ausdehnen wollen, hier die ersten sein werden.
Einige der talentierten Schweizer Weinmacherinnen und Weinmacher, die Gabriel Tinguely in seinen Büchern «Winzer, Wein und Küche» poträtiert hat. (Bilder: Remo Ubezio)
5. Die Weinindustrie muss um globale Talente kämpfen
Die meisten Beschäftigten in der Weinbranche würden zustimmen, dass es Spass macht, dort zu arbeiten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Branchen bietet der Wein eine einzigartige Mischung aus intellektuellen Herausforderungen. Welche andere Branche verlangt von ihren Führungskräften, dass sie teils Landwirt, teils Chemiker, teils Produktionsfachmann, teils Verkäufer und teils Marketingguru sind? In den letzten Jahren hat die Weinbranche talentierte, gut ausgebildete und leidenschaftliche Menschen aus der Generation der Millennials angezogen, die sich von der enormen Komplexität, der Tradition und den vielfältigen beruflichen Herausforderungen angezogen fühlen, aber auch von der romantischen Vorstellung, im Einklang mit der Natur zu arbeiten, die der Wein immer noch hervorruft.
Das ist die gute Nachricht. Die beunruhigendere Nachricht ist, dass es für die nächste Generation globaler Talente nun viele andere spannende Aufgaben gibt, an denen sie arbeiten können. Der Kampf um ihre Dienste nimmt eine neue Dimension an, die vor allem durch den Aufstieg globaler Technologieriesen angetrieben wird, die über grosse Mengen an Investitionsgeldern verfügen. Zugegeben, die Arbeit für TikTok bietet nicht die Abwechslung im Rebberg, an einer Abfüllanlage oder in einem gehobenen Einzelhandelsgeschäft, aber der finanzielle Anreiz ist verblüffend. Im Moment wird der Kampf um Talente über den Lohn ausgefochten – globale Finanzdienstleistungsunternehmen sowie Top-Technologieunternehmen graben mit Einstiegsgehältern von weit über 100’000 US-Dollar pro Jahr anderen Branchen die Talente ab.
Im Gastgewerbe, einem Bereich, der der Weinindustrie viel näher steht, findet bereits eine entsprechende Neubewertung von Talenten statt. Eine im Juni 2021 von Reed, der grössten Personalvermittlungsagentur im Vereinigten Königreich, veröffentlichte Erhebung über ihre eigenen Stellenausschreibungen ergab, dass Stellen im Gastgewerbe und in der Gastronomie im Mai 2021 im Vergleich zum Vorjahr mit durchschnittlich 18 Prozent höheren Gehältern ausgeschrieben wurden. Die auffälligste Zahl in dieser Umfrage war der 43-prozentige Anstieg der Gehälter für Küchenpersonal in Restaurants.
Die Löhne sind für Arbeitnehmende natürlich wichtig, aber sie sind nicht das Einzige, was zählt. Umfragen unter jüngeren Arbeitnehmenden aus den Alterskohorten der Millennials und Gen-Z konzentrieren sich auf einheitliche Anforderungen an die Beschäftigung: Teil eines ethisch einwandfreien Unternehmens zu sein, Transparenz und Fairness am Arbeitsplatz, Sinnhaftigkeit, Autonomie und Entwicklungsmöglichkeiten. Wie viele andere Branchen wird auch der Weinsektor im Jahr 2022 aufrüsten müssen, nicht nur in Bezug auf das Geld, sondern auch in Bezug auf die Fähigkeit, seinen Mitarbeitern ganzheitlichere Belohnungen zu bieten.
(Text: Andy Young, Übersetzung: Gabriel Tinguely)
Weitere Informationen unter:
Andy Young kam 2015 als Redakteur von TheShout zu Intermedia, wo er täglich Nachrichten und auch Beiträge für National Liquor News schrieb. Jetzt ist er geschäftsführender Redakteur sowohl von TheShout als auch von Bars and Clubs.
www.theshout.com
Wine Intelligence ist der weltweit führende Anbieter von Weinkonsum- und Weinmarkt-Forschung. Gegründet im Jahr 2002, führt das Unternehmen mit Sitz in London (GB) und Büros in Australien, Brasilien, Italien, Frankreich, Deutschland, Portugal, Südafrika und Spanien heute Projekte im Auftrag von Weinunternehmen in mehr als 35 Weinmärkten durch. Mit einem Team aus Fachleuten der Weinbranche und der Forschung bietet Wine Intelligence eine breite Palette von Forschungs-, Erkenntnis- und Strategiedienstleistungen an, die Weinunternehmen dabei helfen, bessere und profitablere Geschäftsentscheidungen zu treffen.
www.wineintelligence.com
Der vor 50 Jahren in London gegründete International Wine and Spirits Report (IWSR) ist die vertrauenswürdigste, genaueste und meistgenutzte Quelle für Daten, Analysen und Einblicke in den globalen Markt für Getränkealkohol. Der IWSR ist der Industriestandard für die weltweite Verfolgung der Leistung von Marken, Märkten und Kategorien. Alle internationalen Getränkeunternehmen und Finanzinstitute nutzen die IWSR-Datenbank, um Markttrends zu verfolgen, Wettbewerbsanalysen durchzuführen und Strategien und Planungen zu entwickeln. Der IWSR hat die grösste Akzeptanz in der Branche aller Marktforschungsunternehmen, da immer mehr Unternehmen unsere Datenbank nutzen und sich auf den IWSR verlassen, um die Markenleistung weltweit zu vergleichen. Das bedeutet, dass unsere Kunden sicher sein können, dass sie die gleichen Zahlen wie ihre Mitbewerber betrachten.
iwsr.staging.wpengine.com